Aber heute mit Schlucht, oder?
Wenn man seinem Bruder mitteilt, dass man plant am Wochenende sein buntes Plastikboot in der 2ten Wiener Wasserversorgung zu wälzen, wird man unweigerlich mit oben angeführter Frage konfrontiert. Es ist wohl klar ersichtlich, welche Salza-Passage bei ihm die meiste Ektase hervorruft. Aufgrund ihrer Enge und der daraus resultierenden Wuchtwasserpassagen erfreut sich die Palfauer Schlucht aber auch berechtigt einer so großen Beliebtheit. Wenn sie also so begehrt ist, warum dann überhaupt die Frage? Müsste doch klar sein, dass wir sie fahren, oder?
Berechtigt ist die Frage dennoch. Als wir nämlich das letzte Mal auf der Salza unterwegs waren, haben wir, aufgrund der vorausgegangenen Lassing-Befahrung, die Schlucht noch konditionsbedingt aufgeschoben. Heute steht ein derartiges Unterfangen aber nicht auf dem Plan. Der Wasserstand lässt eine Befahrung der Lassing ohnehin nicht zu. Das ist leider deutlich zu sehen, als wir die Boote in Fachwerk vom Auto räumen. Generell ist der Wasserstand heute geringer als noch vor zwei Wochen.
Dennoch sind 168cm am Pegel Wildalpen Grund genug für Lorenz, Beate, Philipp, Yasmin und Julian eine zweistündige Autofahrt ins Salzatal in Kauf zu nehmen. Eigentlich lohnt sich ein Besuch in Wildalpen immer, nur so nebenbei. Aber bei Temperaturen über 20 Grad Anfang Mai lockt es einen umso mehr seine Gliedmaßen im kühlen Schmelzwasser von Hochkar und Hochschwab zu tränken. Nachdem Lorenz und Philipp das Auspendeln vollendet haben, stellt sich die nächste blöde Frage.
„Alpinstart, oder nicht?“ Direkt neben dem Schotterweg, welcher einen gemütlichen Einstieg ins Wasser bietet, steht die Startrampe für die Rutsche. Anstatt den etwa 5 Meter langen Abstieg zu Fuß zurückzulegen könnte man auch über die steile Erdrinne ins Wasser schießen. Für Lorenz stellt sich die Frage erst gar nicht. Sein Boot liegt schon auf der Plattform als ich Julian mit der Kamera nach unten schicke. Er verweigert heute. Sein neues Boot ist ihm für solch zerspahnende Bearbeitung der Bootshülle noch zu schade.
Und schon schießt Lorenz nach unten. Das in der Ferne leiser werdende Schergeräusch endet am Ausgang mit einem dumpfen Schlag. Dann hört man Wasser. Er hat aufgesetzt. Die Landung ist geglückt. Yasmin folgt noch etwas verhalten, aber auch sie schafft es ohne Umwege aufrecht ins Wasser. Philipp übernimmt das Schlusslicht. Am Ausgang zieht sein Boot zu sehr flussaufwärts und keilt sich zwischen zwei Holzstümpfen ein. Da hätte der Wasserstand ruhig etwas höher sein können.
Für die folgende Fahrt durchs Salzatal hingegen ist der Pegel perfekt. Wo zuletzt noch sämtliche Spielstellen im hohen Pegel abgesoffen sind, braucht man heute die doppelte Zeit, um nicht ein schlechtes Gewissen zu haben ein brauchbares Kehrwasser ausgelassen zu haben. Keine 5 Minuten nach Verlassen der Lassingmündung treibt Julian auch schon das erste Mal verkehrt aus einer Walze heraus. Das Aufrollen gelingt. Nass paddelt es sich anscheinend auch leichter. Der nächste Versuch einer Kerze gelingt. Auf zur nächsten Walze.
Dieses Spiel setzt sich auf den folgenden Kilometern unverändert fort. Sobald sich nur der Hauch einer Schaumkrone im Bachbett auftut, sieht man schon, wie sich der Bug stromaufwärts stellt und ein Paddler nach dem anderen versucht sich seinen Platz in der Walze zu erhaschen. Trotz zahlreicher, oft nebeneinanderliegender Wellen tummeln sich die bunten Boote nahezu immer alle im selben Kehrwasser. Ein bisschen Autodrome-Feeling kommt da schon auf. Das erste Highlight ist erwartungsgemäß die Moosrutsche.
Ein idealer Wasserstand erlaubt ein fast müheloses Ein-Schlag-Manöver, um durch die brechende Weißwasserwelle ins am anderen Ufer liegende Kehrwasser zu gleiten. Auch der sonst so lästige Kenterfelsen am unteren Ende ist ausreichend überspült und stört heute kaum. Gepaart mit der kräftigen Sonne könnte man hier sowohl paddeltechnisch als auch fototechnisch einen ganzen Tag verbringen. Ein ähnliches Bild zeigt der Lawinenschwall. Auch hier könnte man wesentlich mehr Zeit liegen lassen.
Ein Stück abseits liegt ein altbekannter flacher Felsen, der sich gerade beim heutigen Wasserstand ideal als Sprungschanze eignet. Wenn man nicht gerade versucht zu zweit darüber zu fahren, funktioniert das normalerweise auch. Julians Abstand zu meiner Wenigkeit ist bedauerlicherweise zu gering und so kommt es, dass er mit seinem Geschwindigkeitsüberschuss auf mein gerade vom Steinkontakt gebremstes Heck auffährt und am Scheitel des Felsen wieder nach hinten rutscht. Dabei kommt sein Boot schief und er kentert, erneut. Mühevoll und erst nach dem zweiten Versuch gelingt das Aufrollen, als es ihn endlich von der Frontseite des Felsen wegspült. Seine Augen sind eher unbeeindruckt. Wo ist der nächste Felsen?
Inzwischen habe ich aufgehört Julians unzähligen Kenterrollen zu zählen. Es lohnt sich nicht mehr. Ungefähr bei der Hälfte angekommen tut sich die Wasserlochklamm auf. Trotz traumhaften Wetters sind wir hier mutterseelenallein. Das muss man nutzen und so riskieren Philipp, Yasmin und Julian einen Sprung vom Holzsteg. Bei solchem Wetter lässt sich die Kälte des Wassers gut aushalten. Mein persönliches Highlight folgt einige Zeit später. Ein unscheinbares und scharfes Kehrwasser hinter einem beidseitig umspülten Felsen kurz vor einer Schwallstrecke. Ideal um nochmal kurz sein Gesicht zu waschen, bevor es in die Lange Gasse geht.
Am Ausgang der langen Gasse legen wir eine längere Pause ein. Wir müssen eine ganze Weile warten, bis uns die ersten anderen Paddler passieren. Für solch einen Tag ist hier wirklich wenig los. Nach einer kurzen Stärkung setzen wir die Fahrt mit einem Alpinstart aus 2m Höhe fort. Lorenz assistiert beim Anschieben. Ich verweigere. Ich bin der Meinung, dass ich das auch ohne Hilfe hinbekomme. Der steile Eintauchwinkel meiner Bootsspitze ist da allerdings anderer Meinung. Als der Auftrieb meines Bootes zu greifen beginnt, überholt mich mein Heck bereits hinter meinem Kopf und platziert mich kopfüber im Wasser. Wenigstens habe ich heute auch noch die Chance bekommen, meine Kenterrollenkünste unter Beweis zu stellen.
Die Einfahrt in die Schlucht gelingt weniger unproblematisch. Schwallstrecke um Schwallstrecke gräbt sich das Flussbett tiefer zwischen die Konglomeratschichten. Nach einer markanten Rechtsbiegung verengt sich das Tal weiter. Kurz vor der Bundesstraßenbrücke müssen unsere Boote das erste Mal tief Luft holen. Bei solch hohen Stromschnellen und derart scharfen Kerhwasser verbringen die Bootsspitzen durchaus schonmal mehrere Meter unter den Schaumkronen. Nach der Brücke ändert sich der Streckenverlauf. Anstatt Schwallstrecken gibt es nun Abfall um Abfall mit großem Dümpeln dahinter.
Beinahe unbemerkt passieren wir die Kernleiten, die ehemalige Schlüsselstelle. Inzwischen befinden wir uns am tiefsten Punkt der Schlucht. Das Wasser wird ruhiger, die Surfwellen werden weniger. Das Gefälle hat etwas nachgelassen und die Herausforderungen liegen nun in den teils komplexen Verschneidungslinien, der unter Wasser liegenden Felsplatten. Ideal zum Kerzln oder für Mystery Moves, je nachdem ob man die Verschneidung zu lesen weiß oder nicht. Wenig später erreichen wir den Ausstieg in Saggraben.
Froh über die reduzierte Aufstiegshöhe aufgrund des neuen Parkplatzes am Ausstieg verladen wir alle fünf Boote am Autodach und gondeln mit leichter Überlast zurück Richtung Fachwerk. Dort weiten wir die feuchtfröhliche Spanngurt-Bondage samt Kajak auf Lorenz Dachträger aus und beenden die heutige Fahrt mit einem kurzen Picknick auf der Schotterbank. Glücklicherweise hat niemand die zuvor im kühlen Wasser versteckten Radler entdeckt.
Etwas Kühles zum Trinken haben wir alle dringend notwendig. Die beinahe schon schweißtreibende Sonne gepaart mit fehlender Belaubung der Bäume lässt die Sehnsucht nach einer weiteren Befahrung bereits wieder stark anschwellen. Vielleicht lässt sich demnächst mal wieder ein ganzes Wochenende in Wildalpen verbringen. Wenn man nämlich nicht noch eine zweistündige Autofahrt vor sich hätte, dann könnten es am Ausstieg auch schon mal mehr als nur ein Radler werden. Wie schön wäre es jetzt in eine Gaststube zu spazieren oder sich zumindest in ein Zelt fallen zu lassen als sich hinters Lenkrad zu klemmen. Hoffentlich sehen unsere Besuche in Wildalpen bald wieder anders aus. Bis dahin.
Euer Paddelclub Pernitz