Tag 2: Wo sind die Steine?
Am zweiten Tag der Salzburger Osttirolinvasion zieht es die illustre Runde auf Drau und Isel. So einfach wie das hier steht, war die Entscheidung aber nicht. Seit gestern Abend schon wird fleißig hin und her diskutiert. Defreggenbach? Isel? Drau? Zur Untermauerung seiner eigenen Vorlieben wird beinahe viertelstündlich der Onlinepegel gecheckt, um seiner Argumentation auch das nötige Gewicht zu verleihen. Defreggenbach ist zu gut eingeschenkt für die Anzahl an Teilnehmern. Drau hat übermäßig viel Wasser aber mehr Kehrwässer als die Isel. Die Isel hat nur hohe Wellen und kaum Steine. Selbst beim Frühstück ist noch unklar, wohin es heute geht.
Lediglich Lorenz und ich haben schon Pläne. Wir haben uns für den heutigen Tag zwei Spade Boote reserviert, Lorenz den Bliss und Philipp den Joker. Um sie rechtzeitig abzuholen, nehmen wir uns und die halbe Paddelmannschaft aus der Diskussion heraus und fahren in den Kajakshop. Mit neuen Booten und erleichterter Geldbörse kommen wir zurück ins Basecamp. Die verbliebenen Paddler haben sich inzwischen einer Lösung angenähert. Das ausschlaggebende Argument war dann schlussendlich der gute Wasserstand der Drau und die Tatsache, dass es dort mehr Steine und Kehrwässer gibt als auf der Isel. Außerdem mag Annika die Isel nicht. Annika mag Steine!
Am Einstieg der Slalomstrecke, direkt neben dem Kraftwerksauslass, beginnen wir die Fahrt auf der Drau. Als Einstiegsrutsche dient uns eine schmale Schneise zwischen den Sträuchern und Bäumen der steilen Uferböschung. Es folgen ein paar Meter ruhiges Fließwasser, bis der spiegelglatte und tiefgrüne Kraftwerkskanal in die braune schaumdurchsetzte Drau mündet. Die Geschwindigkeit legt nun rasant zu. Die Strecke vom Einstieg bis zu den Slalomtoren neben dem Osttiroler Clubhaus verfliegt nahezu. Auf dem Weg warten einige Walzen, ein paar unausgeprägte Löcher und nur sehr wenige Kehrwässer.
Bei den Slalomstangen angekommen, erkenne ich die Strecke kaum wieder. Bei meiner letzten Befahrung, im Zuge der Übungsleiterausbildung, waren hier noch jede Menge Felsen. Heute sind sie größtenteils abgesoffen. Kein Wunder bei einem Pegel von 112cm. Mit der Anzahl der Kehrwässer verhält es sich ähnlich. Die wenigen verbliebenen Kehrwässer und Strudel sind inmitten der tiefhängenden Slalomstangen nur schwer zu erreichen. Auch weiter unten sieht es nicht besser aus. Steine? Fehlanzeige! Stattdessen gibt’s massig Löcher zum Bomben. Erst bei der Fußgängerbrücke lädt die Drau zu ersten Pirouetten ein.
Sofort nutze ich die Gelegenheit für einen ersten zaghafter Kerzlversuch. Er missglückt und ich rolle, diesmal erfolgreich! Es folgen noch ein paar Löcher, bevor es unter einer Brücke mit einem rauschenden Abfall in die Iselmündung geht. Aufgrund der schweren Einsehbarkeit fahren wir diesen Abfall einzeln, jeder zu seiner Zeit. Die Lieser hat Spuren hinterlassen. Nach dem Zusammentreffen mit der Isel weitet sich die Drau zu einem breiten Strom. Der Charakter ist ruhiger, wenn auch nicht langsamer.
Zwischendurch tauchen immer wieder Surfwellen aus dem Nichts hervor. Voller Selbstvertrauen von der erfolgreichen Rolle und dem neuen Boot lasse ich keine Möglichkeit aus. Hin und wieder gelingt es sogar die ein oder andere Surfwelle zu reiten. Bevor das Bootsgefühl allerdings gänzlich angekommen ist, haben wir auch schon wieder den Ausstieg erreicht. Eine scharfe Verschneidungslinie im Kehrwasser wird noch für ein paar abschließende Übungen zum Kerzln genutzt. Mit ein paar Tipps von den Profis mache ich sogar ein paar Fortschritte. Zumindest gibt es Leute die sich gefühlt schlechter als ich dabei anstellen. Dann gibt’s Mittagspause!
Immer noch Tag 2: Da sind die Steine!
Während die Autofahrer ihrer Pflicht des Auspendelns nachgehen, verbringt der Rest die Mittagspause unter bewölktem Himmel im Grünen. Normalerweise wäre ich froh über ein paar Wolken. Mit den nassen Neoprensachen noch immer am Körper, wäre der ein oder andere Sonnenstrahl jetzt aber gar nicht so unwillkommen. Umziehen ist keine Option, noch sind wir nicht fertig mit Paddeln. Lediglich Annika und Fritz haben sich schon in gemütlicheres Gewand geschält. Der Rest macht sich bereit für eine zweite Runde, diesmal auf der Isel.
In Huben kommt es erneut zu einer kurzen Wartezeit, bis alle verbleibenden Paddler zu ihrem zugeteilten Einstieg gelangen. Glücklicherweise ist mein Leihboot schwarz und wärmt dadurch trotz schwacher Sonne durch den angefeuchtelten Neopren. Die Trockenanzugfahrer wissen diesen Effekt gar nicht zu schätzen. Als mein Boot seinen wärmenden Effekt langsam verliert tauchen aber ohnehin schon die verschollenen Paddlerkollegen auf. Endlich kann es losgehen. Zu fünft steigen wir ins steinige Bachbett hinunter.
Steinig ist genau das richtige Wort. Den Kommentaren meiner Mitpaddler entnehme ich, dass das Schotterfeld sonst tiefer unter Wasser liegt. 225cm am Pegel St. Johann sind wohl eher unterdurchschnittlich. Schade, dass Annika jetzt nicht mehr mit dabei ist. Hier hätte sie genügend Steine gefunden. Bis zur Brücke in Huben machen sich die Steine auch ab und an bemerkbar. Die Kehrwässer am Rand sind seicht und zwischendurch schert auch mal mitten im Fluss ein größerer Felsen am Bootsrumpf. Unter der Brücke wird es dann etwas enger. Mit zunehmendem Gefälle wird es auch wuchtiger. Auf der rechten Seite tut sich bereits ein erstes gewaltiges Loch auf.
Ich versuche das Loch auf der rechten Schulter zu passieren. Der Sog ist aber stärker als erwartet und das Boot wird nahezu seitlich hineingezogen. Fast mittig treffe ich in den Schaumwulst. Als ich wieder Luft bekomme sehe ich wie Moritz gerade aus dem nächsten Loch hinausgeschossen kommt, verkehrt mal wieder. Er rollt. Dennoch entscheide ich mich, dass zweite Loch zu umfahren. Ich reihe mich wieder hinter Lorenz ein und folge ihm zu einem steinigen Abfall. Dabei wäre ich beinahe Zeuge geworden, wie er seitlich gegen einen Felsen kentert. Da hat er nochmal Glück gehabt. Ich nehme den Stein frontal und spare mir die Schrecksekunde.
Eine satte Schwallstrecke später treffen wir auf Kerstin und Steffi, die sich das obere Stück ersparen wollten. Nun geht es zu siebent weiter. Nach den kürzlichen Erfolgen meiner sonstigen Vorfahrer bleibt mir alternativ entweder die Chicken-Line hinter Kerstin und Steffi oder die noch irrerer Linie hinter Lukas und Flo. Schwere Entscheidung! Aber desto mehr Schwälle und Löcher auf mich zukommen umso mehr steigt das Vertrauen ins Boot. Walzen werden gebombt! Wellen werden gesurft! Die Scheu vor den berstenden Wassermassen verschwindet. Zwischendurch schaffe ich es sogar, dass mein Boot in einer hohen Welle gar gänzlich den Kontakt zum Wasser verliert. Lediglich ein dumpfes Schlaggeräusch ist zu hören, als ich wieder im Wellental ankomme.
Die nächsten Highlights sind Lorenz, der senkrecht aus einer Walze schießt und ein Abfall, der mich zum Stützen zwingt. Gegen Ende erscheinen vermehrt steinige Uferbefestigungen mit teils verpilzten Kehrwässern und chaotischen Verschneidungslinien. Endlich gibt es mal ein paar Stellen zum Kerzeln. Der Flusscharakter ändert sich etwas und bringt nun abwechselnd ruhigere Passagen zwischen den künstlich erzeugten Wellen der Uferbefestigungen. Beendet wird die Fahrt an einer riesigen Surfwelle.
Dem niedrigen Wasserstand geschuldet sieht sie aufgrund der brechenden Schaumkrone fieser aus als sonst. Dennoch wage auch ich ein paar Versuche in diesem Monster. Die ersten Male wirft sie mich aufgrund zögerndem Anfahrtsenthusiasmus noch ab. Später surfe ich sie richtig und schaffe sogar beinahe eine ganze Querung. Beim letzten Mal dreht sich mich allerdings und zwingt mich zum Rollen. Der dabei herrschende Sog unter Wasser zieht dermaßen stark an meinem Kinnbügel, dass mir erst jetzt die Wucht dieser Wassermassen bewusst wird. Während meine Arme inzwischen zu schwer für solch derartige Spielerein werden ist für Lukas und Moritz noch längst nicht Badeschluss. Sie genießen und fordern die Welle Mal um Mal weiter heraus.
Aus dem Wasser heraussen macht sich vorranging Müdigkeit bemerkbar. Die heutigen Kilometer haben definitiv ihre Spuren hinterlassen. Am Weg zurück zum Basecamp weicht die Müdigkeit etwas und gibt dem Hunger so weit Platz, dass man nun gegen beides ankämpfen muss. Fürs eine gibt’s ein Bier, fürs andere wird gerade der Griller angeheizt. Sobald die niederen Bedürfnisse ausreichend gedeckt sind, ist wieder genügend Kraft für die Fortsetzung der Diskussion von heute Morgen geschöpft. Wo geht es morgen hin? Obere Isel oder doch auf die Möll? Die Antwort gibt’s morgen. Bis dahin!
Euer Paddelclub Pernitz