Normal 0 false false false DE-AT X-NONE AR-SA Wir fahren wohin!
Ganz recht, wir fahren auf die Laussa. Martin hat sich in den Kopf gesetzt, dass heute der Tag ist, an dem er den Laussafall bezwingen will. Nach 3 Stunden ausgiebigem Paddeln. Wäre nur schön gewesen, wenn er außer Lorenz auch noch den Rest von uns eingeweiht hätte. Na gut, nass sind wir ohnehin schon. Mit zwei Autos fahren wir also weiter flussabwärts Richtung Enns. Mein nasses Gewand belasse ich derweilen noch am Körper, um später den Einsammler am unteren Ende des Wasserfalls spielen zu können. Das klingt schonmal vertrauenserweckend.
Als wir ankommen, sind wir die einzigen. Wir parken uns ein und beginnen erst einmal damit uns umzusehen. Wo steigt man ein, wo fährt man an, machst du das wirklich und will ich das vielleicht auch machen? Nein! Nicht mit meinem Kendo. Ich kann weder boofen noch möchte ich mit dem Spitz meines rosaroten Panthers da hineinköpfeln. Sicher nicht! Auch wenn ich Lust dazu hätte. Nein! Schluss mit der Diskussion in meinem Kopf. Soll sich Martin doch umbringen, wenn er will. Du machst das, wenn du bereit dafür bist. Und das ist nicht heute.
Die innere Stimme scheint überzeugt und so widmen wir uns dem Anseilpunkt an der Straßenbegrenzung, von der wir Martin abseilen. Sobald er unten auf dem Felsvorsprung sitzt, überlasse ich Martin und Lorenz die restliche Vorbereitung und begebe mich ins Wasser, um rauszufischen, was da möglicherweise in Kürze angeschwommen kommt. Und beinahe hätte ich auch ausrücken müssen. Als Martin nämlich Spitz voran in dem Weißwasserwulst eintaucht, der ihn gänzlich verschluckt nur um ihn wenige Bruchteile einer Sekunde später wieder genauso in die Luft zu schleudern, verliert er dabei fast seinen Helm.
Er lässt einen Freudenschrei los, richtet sich seinen Helm und landet sicher am Ufer. Vollgepumpt mit Adrenalin und Euphorie steigt er aus und lässt er sein Boot vor meinen Füßen fallen. „Willst du mein Boot haben?“, fragt er in meine Richtung. Mist! Und schon zerfällt das sorgfältig aufgebaute Kartenhaus voller durchdachter Ausreden dafür, wie ich mich davor drücken könnte diesen Schaß mitzumachen. Auf einmal wusste ich nicht mehr, warum eigentlich nicht. Mit dem Boot geht das locker. Außerdem kann Martin auch nicht Boofen. Das hat er gerade eindrucksvoll bewiesen.
Na serwas! Worauf habe ich mich da eingelassen? Als ich Martins Boot hinauf zur Abseilstelle trage, füllt sich mein Kopf gleichermaßen mit Vorfreude und Todesangst. Ich erinnere mich noch an das Abseilen, an das Boot einstellen und an das unerträgliche Warten, bis Lorenz endlich unten im Wasser ankommt. Jetzt spielt er den Einsammler für mich. Martin, Martin und Fiona stehen mit der Kamera bereit, um jeglichen meiner Fehltritte für immer auf Medium zu bannen. Und dann stoße ich mich ab.
Das Boot taucht ins Wasser. Der zuvor noch gefürchtete Baumstamm auf der linken Seite lässt sich leicht umschiffen. Und dahinter taucht auch schon die Abrisskante auf. Das laute Rauschen des Wasserfalls ist komplett ausgeblendet. Ich halte mich ganz rechts und drehe den Spitz nach links. Rechter Schlag. Linker Schlag. Der Blick wandert bereits über die Kante hinaus. Nur noch ein Schlag auf der rechten Seite, dann nach vor und auf der linken Kante landen. Ich kann das. Ich schaff das. Ich bin bereit. Ich bin… unter Wasser! Verkehrt!
So viel zur Theorie. Um von meinem mangelnden Können beim Boofen abzulenken, gehe ich mal anderwärtig auf Fehlersuche. Vielleicht war es nicht die beste Idee nach 3 Stunden ermüdender Paddelei meine erste Wasserfallbefahrung zu unternehmen? Vielleicht war es auch nicht die beste Idee ein unbekanntes Boot dafür zu nehmen? Ein Boot, dass sich gänzlich anders verhält als meins. Ein Boot, dass ich gerade mal dürftig auf mich eingestellt hatte. Ein Boot, dass ich genau 3 Paddelschläge lang testen konnte, und zwar im Anlauf des Wasserfalls.
Ein Boot, dass im Rücklauf des Wasserfalls gerade zurück unter die Abrisskante gezogen wird. Oh oh! Trotz Kopf-über-Position war der Sog im chaotischen Weißwasserwulst deutlich zu spüren. Die Panik das Boot reflexartig zu verlassen, wurde aber durch die Erinnerung an meinen letzten Schwimmer unterbrochen. Nur wenige Wochen zuvor lag ich in gleicher Position in der Heliwelle und musste nach mehreren erfolglosen Rollversuchen aufgeben, da mich die Walze in ihrem Sog gefangen hielt. Ich musste also zuerst aus dem Rücklauf raus.
Paddel weg vom Körper! Ich strecke die Arme aus und halt die Luft an. Meine Hoffnung, dass das Paddel von der tieferliegenden Strömung erfasst wird, erfüllt sich. Das Rauschen wird etwas dumpfer. Ich spüre wie das Boot flussabwärts treibt und wie sich meine Sauerstoffreserven langsam gen Ende neigen. Als ich der Meinung bin, dass der ideale Punkt zwischen Entfernung zum Wasserfall und Füllstand meiner Lunge erreicht ist, lege ich das Paddel wie gewohnt an die Seite. Die Routine setzt ein und die Rolle gelingt problemlos.
Mit frischer Luft in den Lungen fällt mein Blick auf den Wasserfall. Es braucht ein paar Korrekturschläge, aber dann liegt mein Boot in sicherem Abstand zum Wasserfall. Ich treffe auf Lorenz. Die Freude lässt auf sich warten. Das Adrenalin weicht nur langsam dem wohlig warmen Gefühl von Erleichterung. Etwaiger Ärger über die verpatze Landung wird durch das souveräne Ausharren und Aufrollen im Rücklauf überspielt. So gern ich den Sprung auch ohne Rolle absolviert hätte, umso mehr freut mich die gelungene Schadensbegrenzung.
Nach einem ersten kritischen Blick auf die dokumentarischen Aufnahmen meines Zwischenfalls kann ich immerhin einige positive Einzelaspekte meines Boof-Versuchs erkennen. Von der 90°-Wende im Flug mal abgesehen. Egal! Das Wissen, dass nach über einem Jahrzehnt aktiver Paddelei endlich genügend Erfahrung gesammelt ist, um in solchen Situationen bedacht handeln zu können hinterlässt mehr Selbstvertrauen, als es eine saubere Wasserfallbefahrung je könnte. Als ich mich wieder ins Auto setze bemerke ich erst, dass ich immer noch leicht zittere.